Eine Zeit der Geschichten und Inspiration
Die Symbolik von Licht und Dunkelheit
Das Jahr neigt sich dem Ende zu und der Winter steht vor der Tür. Für mich sind die dunklen Monate jedoch nicht nur eine Zeit der Stille und Zurückgezogenheit, sondern auch eine Motivation mich kreativ mit Mythen und Kulturgeschichte auseinanderzusetzen.
Kurze kalte Wintertage, wenig Sonnenlicht lockten schon seit jeher allerhand spannende und geheimnisvolle Wesen in die Köpfe der Menschen. Sie boten Raum für Geschichten, die sowohl die Ängste als auch die Hoffnungen einer Gemeinschaft spiegelten. Gleichzeitig erklärten sie den Jahreszyklus und vermittelten ermutigende Werte.
In diesem Dezember widme ich mich in einer kleinen Blogreihe verschiedenen Figuren und Motiven, die mit Licht und Schatten sowie dem Jahresende verknüpft sind. Den Anfang machen Frau Holle, Frau Perchta und Knecht Ruprecht – drei Figuren, die wir vor allem aus europäischen Mythen, Märchen und Bräuchen kennen. Sie verkörpern auf unterschiedliche Weise die Licht- und Schattensymbolik der Winterzeit, die durch die Wintersonnenwende und den Raunächte, wie Weihnachten und den Jahreswechsel geprägt ist.
Ich lade euch ein, mich auf dieser Reise zu begleiten und dabei die Bedeutung dieser faszinierenden Figuren sowie ihre Darstellung in meinen Illustrationen zu entdecken.
Knecht Ruprecht
Der Mythos um den Begleiter des Nikolaus
Sein Name ‚rauhe Percht‘ wird oft in Verbindung zu der Gestalt „Frau Perchtas“ gesehen.
Knecht Ruprecht ist im deutschsprachigen Raum eine der bekanntesten und zugleich rätselhaftesten Gestalten, die in der Winterzeit umherreisen. Als düsterere, fast teuflischer Gegenspieler und Begleiter des Nikolaus tritt er am Vorabend des 6. Dezember in Erscheinung, um Kinder zu belohnen oder zu bestrafen. Ein dunkler Umhang, eine Rute oder Peitsche und ein Sack voller Gaben, seine düstere Figur symbolisiert den Übergang von Altem zu Neuem und erinnert daran, dass Fehler und Unrecht Konsequenzen haben.
Historisch gesehen hat Knecht Ruprecht seinen Ursprung in spätmittelalterlichen Kinderschreckfiguren. In später reformierten Gebieten verschwand jedoch die negatives: Gegenspielerinterpretation zum Nikolaus, auch wenn sein Charakter ambivalent blieb Er ist zugleich Mahner und Bringer von Hoffnung. Diese Doppeldeutigkeit macht ihn zu einer Figur, die Licht und Dunkelheit in der Winterzeit gleichermaßen verkörpert.
Frau Holle
„Die Huldvolle“ Schneebringering
Die Goldmarie reist durch einen Brunnen in Frau Holles Anderswelt oder Paradies und durchwandert dabei verschiedene Jahreszeiten (die frühlingshafte Blumenwiesen, das sommerliche Brotbacken, die herbstliche Apfelernte und das winterliche Bettenschütteln).
Ganz anders als Knecht Ruprecht erscheint uns heutzutage die Erzählung von Frau Holle, eine Märchenfigur, oft dargestellt als eine freundliche, wenn auch etwas strenge großmütterliche Figur. Nicht Strafen, sondern Reinheit, Wandel und Gerechtigkeit soll sie bringen.
Mythologisch lassen sich Erzählstränge um Frau Holle („die Huldvolle“) auf frühere Mutter- und Fruchtbarkeitsgöttinnen zurückführen, u.a. auf die nord- und mitteleuropäischen Göttinnen Frigg oder Hulda. So wird sie mit der Ordnung der Jahreszeiten und dem Kreislauf des Lebens assoziiert. Im Volksglauben sorgt sie nicht nur für Schnee im Winter, sondern beeinflusst auch das Wachstum der Pflanzen im Frühling oder segnet die Felder. Sie vermittelt somit zwischen Winterruhe und Frühlingserwachen.
Ihr Reich im Wasser, in Grimms Erzählungen ein Brunnen, ist eine jenseitige paradiesische Welt, die weder ein Oben noch ein Unten kennt. Von hier aus ordnet sie die Erde und schickt die neugeborenen Kinder zu den Menschen. Bestimmt also über Geburt, Tod und Wiedergeburt.
Wie Frau Perchta wird Frau Holle zur Zeit der Raunächte zwischen dem 21. Dezember bis zum 6. Januar in einigen Erzählungen als Richterin beschrieben, die Fleiß und Faulheit der Menschen beurteilt. So soll sie den Menschen u.a. das Weben und Spinnen beigebracht haben. Diese Facetten machen sie zu einer faszinierenden Figur, die zwischen Märchenwelt und Naturzyklus steht.
In meinem Daily-Sketch Übungen habe ich die Gegensätze um Frau Holle und Frau Perchta aufgegriffen, um zu verdeutlichen wie lange uns jene Fantasiegestalten schon begleiten und wie stark ihr Bild von unserer Naturwahrnehmung geprägt ist. Einmal als alte mächtige beängstigende Gottheiten und einmal als mütterliche unterstützende Hoffnungsträger, die die Werte für bürgerliche Haushalte noch bis ins 20. Jahrhundert hinein mitprägten.
Frau Perchta
Hüterin des Winters und Führerin der Seelen
Ihr Name, der etymologisch auf „die Glänzende“ zurückgeht, deutet auf ihre ambivalente Natur hin: Sie vereint Licht und Dunkelheit, Belohnung und Bestrafung, Leben und Tod.
Perchta, auch bekannt als „die Wilde Frau“ oder „Göttin der Wintergeister“, ist eine zentrale Figur des mitteleuropäischen Mittwinterbrauchtums. Auch sie erscheint mit ihrem Zug der „Perchten“ in der dunklen Jahreszeit, insbesondere während der Rauhnächte.
Im süddeutschen Raum und den Alpenregionen wird Perchta als strenge Wächterin von Sitte und Ordnung beschrieben. Sie belohnt Fleiß und Bescheidenheit, etwa indem sie Spinnerinnen, die ihre Arbeit gewissenhaft erledigt haben, goldene Fäden oder Münzen schenkt. Faulheit und Verstöße gegen ihre Gebote hingegen ziehen grausame Strafen nach sich. Der Volksglaube berichtet, dass Perchta jene, die während der Festtage nicht die traditionellen Speisen – insbesondere Gerichte aus Grütze – verzehren oder ihre Arbeiten nicht rechtzeitig abschließen, mit ihrem Messer den Bauch aufschlitzt und ihn mit Steinen füllt.
Eine ihrer wichtigsten Rollen ist die einer Seelenhüterin. Wie Frau Holle wacht Perchta über die Seelen der ungeborenen Kinder sowie derjenigen, die ungetauft gestorben sind. Diese hält sie in Brunnen oder Teichen verborgen – Orte, die auch als Tore zum Jenseits verstanden werden. Dies zeigt ihre enge Verbindung zu den Übergängen zwischen Leben und Tod, aber auch zu den Jahreszeitenzyklen.
Besonders bekannt ist Perchta als Anführerin der sogenannten „Wilden Jagd“, einer geisterhaften Prozession, die in den Rauhnächten durch die Lüfte zieht. In dieser Funktion erscheint sie nicht nur als strenge Richterin über die Lebenden, sondern auch als Begleiterin der Toten. Die Namensähnlichkeit zu Knecht Ruprecht und ihr belohnend-bestrafendes Verhalten legen nahe, dass beide Figuren ähnliche mythologische Wurzeln haben.
Perchta teilt viele Eigenschaften mit anderen weiblichen Gestalten der europäischen Mythologie, insbesondere mit Frau Holle und der nordischen Frigg. Alle drei repräsentieren Aspekte der Weiblichkeit, der zyklischen Natur des Lebens und der Übergänge zwischen Licht und Dunkelheit. Während Frau Holle als freundlichere Figur bekannt ist, die Schnee bringt und Kinder segnet, erscheint Perchta oft wilder und ungestümer – eine wahre Verkörperung des stürmischen Winters.
Frau Perchta und die heilige Lucia
Interessant ist auch die Übertragung von Perchta-Attributen auf christliche Heilige wie die heilige Lucia. In Regionen wie dem Passauer Raum, wo Perchta nicht in den Sagen erscheint, übernimmt Lucia viele ihrer Merkmale. Dieser synkretistische Übergang ist auf den Einfluss des julianischen Kalenders zurückzuführen, nach dem der 13. Dezember – der Festtag der Lucia – einst der kürzeste Tag des Jahres war. So wurde Lucia zu einer symbolischen Lichtbringerin, ähnlich wie Perchta, jedoch in einem stärker christlichen Kontext.
Ich freue mich, euch durch diese Blogreihe mitzunehmen und hoffe, dass die erzählten Geschichten und meine Illustrationen euch inspirieren, die drei Wintergestalten in dem Licht des Jahreszyklus zu sehen. Ich bin gespannt, wie ihr die Geschichten und Figuren dieser Blogreihe wahrnehmt. Welche Aspekte faszinieren oder bewegen euch besonders?